Psychologische und neurowissenschaftliche Grundlagen
erfolgreicher Schulen
Bericht über die Auftaktveranstaltung von Gerd Heistermann
Gerhard Roth, einer der renommiertesten deutschen Hirnforscher bezieht seine Erkenntnisse speziell auf den Schulunterricht. Seine neurowissenschaftlichen Erkenntnisse gelten als „state of art“, die die bisherigen wenig empirischen, häufig geisteswissenschaftlich-pädagogischen Denkansätze wissenschaftlich unterfüttern oder auch widerlegen. Noch habe dieses Wissen die Ministerien, die Schulen und die Lehrerausbildung viel zu wenig erreicht, bedauert Roth, was aber in Hamm jetzt anders wird.
Kommunikation und damit Lehren und Lernen sind eine Sache des Vertrauens
Wir können leicht und spontan lernen, wenn wir unmittelbaren Gewinn davon haben wie z.B. das Sprechen und Gehen oder was unsere Neugier erregt, und dies vor allem in den ersten Lebensjahren. Schulischen Lernen ist dagegen anspruchsvoll, mühsam und ohne unmittelbar erkennbaren konkreten Nutzen. Schüler lassen sich auf das schulische Lernen ein, wenn sie ihrem Lehrer vertrauen können und fühlen, dass er es wirklich gut mit ihnen meint, er also glaubwürdig ist. Während man Fachkompetenz lernen kann, kann man glaub- und vertrauenswürdig nur wirken, „wenn man es wirklich ist“, so Roth. Wenn man nur nett ist und diese Haltung vorspielt, geht das nicht lange gut, denn wir Menschen können in Millisekunden intuitiv erkennen, ob jemand vertrauenswürdig ist oder nicht – was wir anhand zweier Porträtaufnahmen nachvollziehen konnten. Wenn ein Lehrer „nichts ausstrahlt“, lernen die Schülerinnen und Schüler bei ihm nur wenig, egal wie gut er seinen Stoff vermittelt.
"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“
Der erste Eindruck von einem Menschen schafft in Millisekunden und völlig unbewußt eine Bewertung in „sympathisch, sicher“ und „unsympathisch, Gefahr“. Die Neurowissenschaften und die Psychologie zeigen, dass dieser Eindruck unglaublich stabil ist. Nach einem Jahr ist in 70% der Fälle die Bewertung noch gleich, und zwar nicht, weil wir alle so gute Menschenkenner sind.
Dies fordert von Pädagoginnen und Pädagogen, der Gestaltung des gemeinsamen Anfangs, des gemeinsamen Kennenlernens, Zeit und Bedeutung einzuräumen. Das gilt sowohl der Präsentation des Lehrers: Gelingt es ihm, schnell Vertrauen und Sympathie zu erwerben? Aber genauso seinem Blick auf Schülerinnen und Schülern. Über den ersten Eindruck hinweg sollte er sich Zeit nehmen, sie kennenzulernen, ihre Geschichte und ihre Persönlichkeit zu verstehen und eine Beziehung aufzubauen.
Die emotionale Beziehung ist das Schmiermittel für Lernen und Gedächtnis
Für diese Beziehung muss der Lehrer die innere Überzeugung haben, dass AUCH Schüler „im Grunde gut“ sind und ihr Verhalten einen Grund hat. Junge Menschen wollen ernstgenommen und verstanden und nicht bewertet werden. Deshalb sollten Lehrer einen jungen Menschen niemals von oben herab belehren oder Vorwürfe machen, sondern sich offen auf ihn einlassen mit einer positiven Grundhaltung in einer guten, vertrauensvollen und zugewandten Atmosphäre. Das Gespräch braucht ein intuitives Gespür für die Situation und die Bedürfnisse der Beteiligten; Roth nennt das „Feinfühligkeit“. Rückmeldungen an die SuS dürfen ehrlich Defizite benennen, müssen aber immer auch konstruktiv eine Perspektiveaufzeigen. Gleiches Recht sollten aber auch die Schülerinnen und Schüler haben: Kritische Rückmeldungen, die von ihnen kommen, sind grundsätzlich positiv aufzunehmen und zu verarbeiten. Kritikfähigkeit im Sinne von Kritik annehmen ist gefordert.
Weniger Stoff ist mehr
Wir lernen das am besten, was für uns neu und wichtig, konkret und anschaulich ist und was zu unseren Vorerfahrungen passt. Dabei nehmen wir Daten, Zahlen, Fakten und Formeln nur schwer auf. Viel leichter geht es mit Geschichten, die einen Bezug zu uns haben. Und wichtiger als mit dem Stoff „durchzukommen“ ist es, dass der Stoff bei den SuS „ankommt“.
Lehren in Spannungsbögen á 3-5 Minuten
Der Unterricht sollte rhythmisch erfolgen in Spannungsbögen und kurzen Pausen. Der Stoff muß anknüpfen an das Vorwissen, das immer wieder zu vergegenwärtigen ist durch Abfragen. Die Stimme des Lehrers sollte variieren, er sollte den Stoff anschaulich und lebendig machen mit Beispielen, kleinen Geschichten, Abbildungen und Grafiken und dabei seine Ausführungen immer wieder neu und anders formulieren.
Anstrengung ist wichtig
Es geht nicht darum, von den Schülerinnen und Schülern nichts zu fordern. Vielmehr ist ein „mittlerer Stress“ sehr anregend und bildet die Motivation. Anstrengung beim Lernen sollte also kein Tabu sein, denn sie macht das Erlernte wertvoller, so Roth. Allerdings gibt es ebensowenig wie ein „zu wenig“ ein „zu viel“, und das zerstöre Lernen. Für Lehrkräfte bestehe die große Herausforderung, den unterschiedlichen Belastungsniveaus gerecht zu werden.
Das Gedächtnis ist wie eine Kommode
Diese Kommode ist paradox und unendlich zugleich. Sie hat Schubladen, die unser Wissen enthalten und sich gegenseitig hemmen können, d.h. wenn eine Schublade herausgezogen wird, gehen die anderen zu. Es sei denn, wir sind fähig, auch Unterschiedliches so zu integrieren, dass es sich ergänzt und fördert. Das wird dann Intelligenz genannt: Zusammenhänge da zu sehen, wo andere sie nicht erkennen können, sowie die Schnelligkeit der Informationsverarbeitung.
Und das Beste an der Kommode: je mehr in den Schubladen drin ist, umso mehr passt noch hinein! Lernen ist unserem Gehirn damit unbegrenzt möglich!
Projektunterricht statt Stundenplan
Ein steter Fächerwechseln nach 45 Minuten ist nicht hirngemäß. Unsere Art des Unterrichts ist historisch im alten Preussen zufällig entstanden und damit irrational, schimpft Roth. Ein Umlernen ist den Schulen hier aber besonders schwer möglich. Trotzdem plädiert Roth für Projekt- und Thementage und für fächerübergreifenden Unterricht, in denen ein Thema aus verschiedenen fachlichen Perspektiven behandelt wird. Dabei sollen sich Kurzvorträge zur Informationsvermittlung und Gruppen- und Einzelarbeit zum Durcharbeiten abwechseln.
Anmerkung: Bisher war „der Lehrer“ dazu da, den Stoff nach Lehrplan methodisch und didaktisch professionell zu vermitteln – gleichsam wie ein Ingenieur. Wie bei einem Chirurgen ist seine individuelle Persönlichkeit dabei eher unwichtig.
Die Hirnforschung lädt ein zu einem Paradigmenwechsel: gelingende Beziehungen, die bisher nur nice-to-have waren, sind in Wirklichkeit die Voraussetzung von Lernerfolgen!
Damit ist die Aktivierung von Schülern abhängig von Randbedingungen, die sich weder anweisen noch simulieren oder gar garantieren lassen – welch´ eine Provokation! Und das ausgerechnet in Zeiten, wo die Schüler immer schwieriger, die Ressourcen immer knapper werden und die Lehrer immer erschöpfter sind. Wie man Beziehung verstehen, lernen und üben kann, die unterschiedlichsten Störungen konstruktiv aufzugreifen und sich so weniger Stress zu machen, zeigt www.intushochdrei.de.
Viel Spass damit!
Gerd Heistermann
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